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Der Schatten im Horoskop

Der Schatten ist der Teil unserer Persönlichkeit, der uns nicht bewußt ist. Er erscheint uns immer als minderwertig und negativ und wird deswegen aus unserem Bewußtsein verbannt. Die Entstehung des Schattens kann man sich am Beispiel einer Kerze vorstellen, die zunächst genau über einem Stab gehalten wird und deren Licht anschließend langsam nach einer Seite hin wandert. Der Bereich auf seiten der Kerze wird besonders erhellt, auf der anderen Seite des Stabes entsteht dagegen ein entsprechender Schatten. Das bedeutet psychologisch:

Immer wenn Energien im besonderen Maße im Licht stehen, wenn sie also nicht im rechten Maß gewissermaßen aus der Mitte des Horoskops heraus gelebt werden, führt diese Situation auf der anderen Seite zu Unterdrückung und zur Verdrängung von Energien.

Zum Schattenbereich gehören zunächst alle jene Energien, die in unserem Begabungsspektrum (Horoskop) nur schwach ausgeprägt sind, über die wir also nicht selbstverständlich und souverän verfügen können. Sie definieren die Grenze unserer Persönlichkeit und sind insofern unbeliebt. Hat jemand etwa eine starke Zwillinge-Betonung aber wenig von der Fische-Energie, so könnten ihm z.B. Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit zum Träumen als minderwertig erscheinen. Er wird sich vielleicht viel auf seine schnelle Auffassungsgabe und seine Kontaktfähigkeit zugute halten. Mitleid mit sozial Schwächeren gilt ihm dagegen als Charakterfehler.

Zum Schattenbereich gehören weiterhin jene Energien unseres Horoskops, die wir zwar als Begabung im Besitz haben, die wir aber aus irgendeinem Grund nicht zu leben wagen. Die Ursache hierfür ist immer eine Erziehung im Elternhaus, die diese Energien nicht akzeptieren konnte. So könnte etwa eine Wassermann-Sonne (eigenwilliges Selbstbewußtsein) in der traditionellen Sozialisation von Mädchen oder ein Fische-Mond (emotionale Empfindsamkeit) in der Erziehung von Jungen durchaus unerwünscht gewesen sein. Manchmal ist es aber auch so, daß eine besonders überzogene Einstellung der Eltern eine genau entgegengesetzte Reaktion beim Kind hervorrufen kann. Eine betont soziale Einstellung im Elternhaus könnte also beispielsweise geradezu ein rücksichtsloses Karrierestreben fördern, so daß etwa eine Planetenstellung im 12. Haus zum Schattenbereich wird.

Der Schatten muß immer dann selbst gelebt werden, wenn es sich bei ihm um einen eigenen, jedoch ins Unbewußte verdrängten Persönlichkeitsanteil handelt. Schattenbereinigung besteht also überwiegend darin, die verdrängten Persönlichkeitsanteile im Horoskop zu sehen, anzunehmen und einzuüben. Erst wenn wir an jedem Pol unserer Begabungen gleich sicher sind, haben wir unsere neurotische Lebensweise überwunden.

Begabungen dagegen, die wir selbst nicht besitzen, müssen wir nur als unsere Grenze akzeptieren. Hier gilt es, gelassen anderen Menschen den Vortritt zu geben, ohne neidisch zu werden oder solche Begabungen als weniger wertvoll hinzustellen.

Werden Begabungen in den Schattenbereich verdrängt, dann hängen sie stets mit anderen Energien zusammen, die in übertriebener Weise zum Ausdruck gebracht werden. Astrologisch gesehen können hierfür verschiedene Konstellationen die Voraussetzung bilden. Es treffen dabei immer Energien aufeinander, die nicht so leicht gemeinsam in ausgeglichener Weise gelebt werden können oder (bei gemeinsamer Verwirklichung) sich schlecht in das übrige Horoskop integrieren lassen. Die meisten Astrologen rechnen hierzu:

Nach meiner Astrologie, nach der die Spannung zwischen der uranischen und der neptunischen Energie eine grundlegende und prägende Bedeutung für das ganze Horoskop besitzt, kann ein Schatten vor allem dann entstehen, wenn ein- und dieselbe Energie zugleich mit einem uranischen und einem neptunischen Impuls verbunden ist.

Steht also z.B. in einem Horoskop ein Quadrat zwischen Mars und Uranus und befindet sich zugleich Neptun am AC, dann wird der Horoskopeigner große Probleme haben, seine Mars-Energie (die nach dem Astrologischen Alphabet mit dem AC identisch ist) ausgeglichen zu leben. Es drohen hier vielmehr zwei extreme Situationen, wo einmal die uranische und ein andermal die neptunische Energie in den Schattenbereich verwiesen wird: Entweder wird dem Horokopeigner von außen passiv eine Opferhaltung (Neptun am AC) rücksichtslos aufgezwungen (Mars Quadrat Uranus) oder er lebt aktiv eine kämpferische Aggressivität (Mars Quadrat Uranus), die sich dann aber nur gegenüber Menschen in einer Opferposition (Neptun am AC) äußert. In vielen Fällen wird der Horoskopeigner auch von einem Extrem ins andere wechseln.

Bei einer Beratung sollte der Astrologe unbedingt auf solche Doppelbesetzungen von Uranus und Neptun im Horoskop achten. Sie bilden meiner Meinung nach den wichtigsten Schlüssel für eine Interpretation und den tiefsten Grund für alle neurotischen Störungen. Eine gleichzeitig bestehende plutonische Betonung radikalisiert dabei das Problem.

Der Schatten zeigt also gewissermaßen spiegelverkehrt zu den gelebten Stärken die Schwächen einer Persönlichkeit. Die Aufforderung zur Schattenbereinigung ist demnach immer auch eine Aufforderung dazu, das gesamte Horoskop zu überprüfen und die übertriebenen Stärken zurückzunehmen, so daß alle Persönlichkeitsanteile ausgeglichen aus einer Position der Mitte heraus gelebt werden können.

Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Man muß sich dabei bewußt sein, daß der Schattenbereich nicht vollständig durch die Energien, die im Licht stehen, kompensiert wird. Es bleiben immer Schattenenergien unverbraucht liegen, die sich im Laufe der Zeit anstauen. Dieser Stau ist der Grund dafür, daß ein Schatten sehr gefährlich werden kann. Entsprechend groß ist dann die Angst, die Schattenenergien überhaupt anzurühren, so daß der Horoskopeigner lieber an seiner neurotischen Schieflage festhalten möchte.

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, mit dem Schatten auf neurotische Weise umzugehen:

Im Zustand tiefer Verzweiflung kann der Mensch allerdings eine heilsame Erfahrung machen, nämlich die, daß er gerade im größten Elend von einer Kraft aufgefangen wird, die mächtiger ist, als sein zerbrochenes kleines Ich. Er begegnet seinen Selbstheilungskräften, die nichts anderes sind als die göttliche Wirklichkeit auf dem Grund seiner Seele. Durch diese Wirklichkeit wird ein Heilungsprozeß in Gang gesetzt, der am Ende dazu führen kann, daß der Schattenbereich vollständig bereinigt wird.

Der Bezug zur immanenten Transzendenz ist nach meiner Überzeugung die entscheidende Voraussetzung, die dem Menschen die Gelassenheit gegenüber seinen Begabungen schenkt und ihn vor jener Eigenmächtigkeit bewahrt, seinen letzten Halt in irgendwelchen persönlichen Fähigkeiten suchen zu müssen, die dann entsprechend übertrieben gelebt werden. Der Mensch wird durch eine religiöse Bindung in die Lage versetzt, seine Stärken - so wie sie im Horoskop stehen - in ausgewogener Weise aus einer Position der Mitte heraus zu leben und seine Grenzen zu respektieren.

Praktisch kann man das daran erkennen, daß er den Platz im Leben gefunden und akzeptiert hat, wo er seine Begabungen im rechten Maß ausleben kann, ohne mit der Realität in Konflikt zu geraten. Eine starke Jungfraubetonung kann z.B. im Beruf des Lehrers gelebt werden. Wird sie dagegen oberlehrerhaft auf die Erziehung des Ehepartners oder der eigenen Kinder konzentriert, muß sie zerstörerisch wirken.

Es geht also letztlich nur darum, sich der Einseitigkeit des eigenen Begabungsspektrums bewußt zu werden und einen Weg zu suchen, auf dem man trotz dieser Einseitigkeit mit dem Leben (Beruf und Partnerschaft) zurechtkommen kann. Dieser Weg führt aber zunächst immer durch eine Phase großer Probleme und tiefen Leids.

Menschen, die stellvertretend für uns unsere Schattenseite leben, wirken übrigens nach meiner Beobachtung auf uns entweder sehr provozierend (beim gleichen Geschlecht) oder sehr anziehend (wenn sie dem anderen Geschlecht angehören). Im letzteren Fall wird allerdings die Anziehung aufgrund der Andersartigkeit, die immer auch ein Grund für eine Verliebtheit ist, sehr bald abgelöst durch ein Gefühl der Enttäuschung, weil wir spüren, daß der andere Mensch uns doch sehr fremd bleibt und unsere eigenen Verhaltensmuster infrage stellt. Nur wenn wir uns mit unserem Schatten selbst ausgesöhnt haben, sind wir in der Lage, auch mit anderen Menschen in eine Beziehung zu treten, die langfristig gelingt. Im anderen Fall werden wir über unseren Schatten ständig in Psychospiele hineingezogen. 

Rolf Freitag, Schule für Psychologische Astrologie in Heiligenhaus, 2011

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